“Nur Hausbesuche macht er nicht” – ein Plädoyer für den Wald

Seit der Romantik hat sich der Wald als Ort der Naturnähe, Freiheit, Ruhe und Regeneration tief ins deutsche Bewusstsein eingegraben. Eichendorff verklärt ihn zu einem “Hallraum der Seele”, in dem der eigentlich von der Natur getrennte Mensch wieder zu einer neuen Einheit mit ihr kommen könne. Heute würde man statt Hallraum wohl eher Resonanzraum sagen.

Für die aus der Stadt Hanau stammenden Gebrüder Grimm waren die dichten Wälder die bevorzugten Gegenden, in denen sich die Volksüberlieferung in Märchen und Sagen am ursprünglichsten erhalten hatte.

Auch der Maler Caspar David Friedrich hatte eine besondere Affinität zum Wald, der er in seinen Bildern Ausdruck verleiht.

Ungeachtet aller politischen und sozialen Veränderungen im 19. und 20. Jahrhundert erfreute sich der Wald durchgehender Beliebtheit. Und gerade heute kann der Wald in unserer globalisierten und digitalisierten Berufswelt ein ruhegebender Raum und damit Gegenpol zur oft hektischen Betriebsamkeit des Alltags werden.

Neuere Forschungen bescheinigen ihm sogar eine nachweisbare gesundheitsfördernde Wirkung. Das folgende Gedicht eines leidenschaftlichen Waldliebhabers und Försters nimmt bereits viel früher diesen Aspekt auch schon in den Blick:

Doktor Wald

Wenn ich an Kopfweh leide und Neurosen,
mich unverstanden fühle oder alt,
und mich die holden Musen nicht liebkosen,

dann konsultiere ich den Doktor Wald.

Er ist mein Augenarzt und Psychiater,
mein Orthopäde und mein Internist.
Er hilft mir sicher über jeden Kater,

ob er von Kummer oder Cognac ist.

Er hält nicht viel von Pülverchen und Pille,
doch umso mehr von Luft und Sonnenschein.
Und kaum umfängt mich angenehme Stille,

raunt er mirzu: “Nun atme mal tief ein!”

Ist seine Praxis oft auch überlaufen,
in seiner Obhut läuft man sich gesund.
Und Kreislaufkranke, die noch heute schnaufen,

sind morgen ohne klinischen Befund.

Er bringt uns immer wieder auf die Beine,
das Seelische ins Gleichgewicht,
verhindert Fettansatz und Gallensteine.

nur Hausbesuche macht er nicht.

Helmut Dagenbach, 1986

 

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