Nicht nur das Eis taut: Neue grönländische Literatur

Protagonistin Smilla lebt in zwei Kulturen. Sie hat ihre Kindheit in Grönland verbracht und gerät nun im winterlich kalten Kopenhagen in den Sog einer abenteuerlichen Geschichte, die sie nach Grönland zurückführt, um den dubiosen Hintergründen des Tods eines Inuit-Jungen auf die Spur zu kommen.

Peter Hoeg war so etwas wie ein Türöffner für die grönlandische Literatur, nun richtete sich der Blick der Öffentlichkeit auf die Insel im Nordatlantik. Viele grönländische Autoren reagierten zunächst mit einer eher nostalgischer Rückbesinnung auf traditionelle grönländische Traditionen, Tänze und Performances. Zu ihnen gehören einige Autoren, die in abgelegenen Landesteilen wie in Thule oder Ostgrönland lebten und arbeiteten wie Otto Rosing (1896–1965), sein Sohn Jens Roding (1925–2008), die beide auch als Maler und Illustratoren tätig waren, sowie Villads Villadsen (1916–2006) und Otto Sandgreen (1914–1999).

Später wird die Sozial- und Zivilisationskritik schärfer: durch den Schriftsteller und Politiker Moses Olsen (1938–2008), die schreibenden Aktivisten für die Autonomie Grönlands Jens Geisler (1951–2010). Zu dieser Strömung, die gegen die dänische Herrschaft und damit verbundene Entfremdung der Grönländer opponierte, gehört auch Hans Anthon Lynge mit seiner großen Tetralogie zur Geschichte der Grönländer von der Einwanderung aus Kanada bis zur Gegenwart, die in den Jahren von 1970 bis 1988 erscheint, und der damit verbundenen Identitätssuche.

Auch die grönländischen Frauen artikulieren sich literarisch: Maaliaaraq Vebäk wird Trägerin des grönländischen Kulturpreises 2001 mit ihren Romanen und Mariane Petersen feiert Erfolge mit ihrer Gedichtsammlung sowie einem epischen Gedicht über die Geschichte Grönlands.

Mit dem erweiterten Autonomiestatus von 1979 schwächt sich die Polarisierung zwischen den Vertretern einer grönländischen Identität und der kolonialen dänischen Präsenz ab. Nicht mehr alle Probleme Grönlands werden nun als Folgen der Fremdherrschaft angesehen, die Identitätsdiskussion verliert ihre Brisanz. Hans Anthon Lynge etwa, übrigens Träger des gronländischen Kulturpreises 1999 und des dänischen Übersetzerpreises 2010, betrachtet in seinem Briefroman Bekenntnisse von 1997 die Frage nach der grönländischen Identität als offen, sie sei jedenfalls nicht durch Rückgriff auf ethnische Präferenzen und Traditionen zu beantworten.

Und die jüngere Generation? Die 1959 geborene Lyrikerin, Performance-Künstlerin und Malerin Jessie Kleemann (geb. 1959) und der Autor Kelly Berthelsen (geb. 1967) stellen sich weiter die Frage nach dem Umgang mit der Tradition beim Aufbau eines modernen Nationalstaats, der sich noch in einer postkolonialen Phase befindet.

Immer mehr Autoren schreiben inzwischen auch auf Englisch und Dänisch oder lassen ihre Bücher mit Blick auf den internationalen Buchmarkt übersetzen. Bekannt geworden ist vor allem der grönländische Singer/Songwriter Angu mit Songs wie Red Lights, der seine Texte in englischer Sprache schreibt.

Zu den etwa 13.000 Grönländern, die außerhalb der Insel leben, zählt auch Ivalo Frank. Sie wurde als Kind dänischer Eltern in Grönland geboren und lebt heute als Filmemacherin und Autorin in Berlin und Kopenhagen. Charakteristisches Merkmal für viele grönländische Künstler ist das gezielte Zusammenwirken von Sprache, Musik, Tanz und Malerei.

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