Soziologe Hartmut Rosa zu den Folgen des Lockdowns

Hartmut Rosa, Soziologieprofessor aus Jena und Autor des Buchs “Unverfügbarkeit”, ist gerade ein gefragter Mann. Er gehört zu denjeningen, die sich mit der Pandemiekrise befassen und deren Implikationen über den Tag hinaus denken. Hier lotet er im Dialog aus, wie wir vom derzeitigen Lockdown sogar profitieren könnten und wo die Gefahren lauern.

Unsere Welt war lange Zeit gekennzeichnet durch ständige Beschleunigung, die Globalisierung hat diese Tendenz noch verstärkt. Jetzt befindet sich die ganze Welt aus den bekannten Gründen in totaler Entschleunigung. Wie lässt sich dieser Zustand einordnen? “Dieser Lockdown ist historisch einzigartig. Die Erfolgsgeschichte der Moderne basiert auf Bewegung. Zuerst kam die Lokomotive, dann kamen die Dampfschiffe und schließlich Autos und Flugzeuge. Nichts, nicht einmal Kriege haben diese Logik jemals so spürbar verlangsamen können, denn sogar in Kriegszeiten laufen im Prinzip hochdynamische Prozesse ab.”

Welche Auswirkungen hat das auf uns als Menschen? “Eigentlich sind wir als Individuen in dieser dynamisierenden Logik gefangen. Wir werden von einer Alarm Clock statt vom Sonnenaufgang geweckt. Und danach geht es sofort mit dem Alltag los, mit der Abarbeitung unserer immer länger werdenden To-do-Listen. Unsere Welthaltung ist deswegen im Grunde eine alarmistische, eine aggressive. Doch diese To-do-Listen sind jetzt massiv geschrumpft. Plötzlich haben wir Zeit im Überfluss.”

Hierzuland darf man nur noch zu zweit im Freien unterwegs sein. Auch beim Einkaufen gilt Social Distancing. Keiner darf dem anderen näher als 1,5 Meter kommen. Was sind die Folgen? “Da beobachte ich gerade massive Entfremdungserfahrungen, weil ein fast körperlich spürbares Misstrauen gegenüber dem anderen entsteht. Plötzlich weiß man nicht mehr, ob von diesem Menschen, der an einem vorbeigeht, eine Gefahr ausgehen könnte. Hinzu kommt, dass es sich beim Virus um eine Gefahr handelt, die wir weder hören, riechen, schmecken noch sehen können. Unsere Weltwahrnehmung ist plötzlich ineffizient und insuffizient.”

Wir sind quasi erstmal am Ende mit unserem Latein. Wie konnte es dazu kommen? “Es scheint mit auf der Hand zu liegen, dass die Globalisierung ein Faktor war: Die Ausbreitung des Virus war unter anderem deshalb möglich, weil wir so hochdynamisch und so stark miteinander verknüpft sind.”

Wann kann und wie wird es jetzt weitergehen? “Es gibt derzeit keinen verlässlichen Pfad. Wir müssen uns als Geselllschaft eingestehen, dass wir alle nicht wissen, was danach kommen wird. Dieses Eingeständnis ermöglicht uns aber das, was ich als den Kern einer Resonanzbeziehung bezeichne: einen Modus des ‘Hörens und Antwortens’.”

Können Sie etwas näher erläutern, wie Sie das meinen? “Mit dem Begriff “Natalität” bezeichnet Hannah Arendt die Besonderheit menschlichen Handelns, die darin liege, Neues entstehen lassen zu können. Das ist aber nur möglich, wenn wir aufeinander eingehen.  Wir müssen also andere Stimmen hören und gleichzeitig selbst Stimme sein. In diesem Sinne möchte ich mir nicht anmaßen zu sagen, dass sich eine gewisse Entwicklung ganz klar abzeichnet, denn ich bin nicht die einzige Stimme, die zählt. Resonanz basiert auf der Einsicht, dass wir nicht allmächtig sind und dass wir manchmal auf Kontrolle verzichten müssen, dass wir aber mitwirken können.”

Ein kluges Statement, wie ich finde, von einem gebildeten Mann – wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann das mit der Lektüre seiner Bücher “Resonanz” und “Unverfügbarkeit” tun.

Zitate kommen aus einem Gespräch, das Marie Eschmann mit Hartmut Rosa geführt hat.

 

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