Was kann Literaturkritik leisten?

Kaum einer steht so für die deutsche Literaturkritik der letzten 50 Jahre wie Marcel Reich-Ranicki, wobei seine öffentliche Bedeutung nicht nur in seinen Beiträgen im Feuilleton der FAZ, sondern auch durch die erfolgreiche TV-Sendung Das literarische Quartett begründet ist. Kernaufgabe der Literaturkritik ist es, literarische Werke der Literatur zu bewerten und einzuordnen. Sie erörtert oft aktuelle Neuerscheinungen, unterwirft aber auch immer wieder Werke älteren Datums einer kritischen Neubewertung. Kein einfaches Geschäft also:

Wegbereiter der deutschsprachigen Literaturkritik war Gottsched mit seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst 1730, einer strengen, normativen Regelpoetik, auf deren Grundlage die Qualität von Literatur beurteilbar werden sollte. 1741 folgten Bodmers Critische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter. Die Leistung von Gottsched und Bodmer liegt darin, dass sie erstmals Kriterien entwickelten, an denen Literaturkritik sich orientieren konnte.

An Lessing rieb sich Reich-Ranicki lebenslang. Einerseits attestierte ihm, “eigentlicher Urheber und Vater der deutschen Kritik” zu sein. Andererseits bezeichnete er Lessings Kritiken als “längst verblasst und bestenfalls von historischer Bedeutung.”

Seine Nachfolger Herder, Schlegel und Börne waren wie Lessing selbst Autoren und nicht ausschließlich Literaturkritiker.

Kurt Tucholsky, der mehr als 500 literarische Werke rezensierte, wurde von Reich-Ranicki bezeichnet als “genialer Conferencier, doch jener Tradition der deutschen Kritik treu, die einst Lessing begründet hat.” Neue Maßstäbe setzte schließlich der spitzzüngige Karl Kraus.

Walter Jens, Gert Ueding und Joachim Kaiser prägten die deutsche Literaturkritik ebenfalls wesentlich über einen längeren Zeitraum.

Reich-Ranicki betonte stets das Subjektive, allerdings auf der Basis von breitem Wissen und hoher Sachkenntnis, in seiner Form von Literaturkritik, die mitunter fast dichotomisch zwischen gut und schlecht zu unterscheiden pflegte und fand in seinem ebenso versierten Counterpart Helmut Karasek einen ebenbürtigen Sparringpartner für sein literarisches TV-Format. Spätere Versuche von anderen Akteuren, dem Literarischen Quartett nachzueifern, blieben meist bescheiden und sind ziemlich sang- und klanglos gescheitert.

 

 

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